martes, diciembre 07, 2010

Bremen, die Stadt der kurzen Wege (II)

Gäste führe ich immer ins Rathaus.

Seine Weserrenaissance-Fassade hat Lüder von Bentheim ab 1605 vor den spätmittelalterlichen Kern mit seinen gotischen Fenstern gesetzt. Ihre reich verzierten Arkaden, Balkone und Erker erzählen von der stolzen Hansestadt, die sich einst sogar hatte vorstellen können, das "Rom des Nordens" zu werden. Ins Innere des Gebäudes führt der Eingang im Neuen Rathaus gegenüber von Dom und Bismarck-Reiterstatue.


Schon die Empfangshalle ist beeindruckend: Zwischen einem alten Kauffahrtei-Segelschiff, dem Bild des legendären Flugzeugs "Bremen", mit dem die erste Atlantiküberquerung in Ost- West-Richtung 1928 gelang, und dem Modell des Seenotrettungskreuzers "Wilhelm Kaisen" führt eine Treppe hinauf in die "Marmoretage" - benannt nach dem Bodenbelag. Hier stehen die Skulpturen von Bremens berühmtem Bürgermeister Johann Smidt und den Präsidenten Ebert, Heuss und Carstens.
Daneben residiert der Bürgermeister und Regierungschef des "Zwei-Städte-Staates" Bremen und Bremerhaven. Tagsüber steht die Tür zum Büro des Bürgermeisters offen - eine Einladung zum Eintritt. Das ist beste Bremer Art, informell wollen wir sein, ohne Etikette, ohne Statussymbole, bescheiden und zugleich offen für alles, was sich in diesem Stadtstaat ereignet.


Nur wenige Schritte sind es zur Oberen Halle, dem historischen Rathaussaal.
Hier erzählt alles von der republikanischen Geschichte der Stadt: die Wandbemalung, die Decke, das Inventar, die von der Decke herabhängenden Schiffsmodelle, die Wappenfenster, die vielen politischen Bilddokumente.
Früher haben sich regelmäßig alle Wahlberechtigten in dieser Halle versammelt und mit den Bürgermeistern die Geschicke ihrer Stadt gelenkt. Mehrfach führten die Bremer im 17. Jahrhundert gegen die Schweden Krieg, wurden belagert und haben widerstanden - mir fällt dabei Auguste Rodins berühmte Plastik der Bürger von Calais ein. Das gleiche Pathos spüre ich hier.

Kein Wunder, dass alles von Bedeutung in diesem Raum passiert: Hier wird alljährlich im Februar die traditionelle "Schaffermahlzeit" ausgerichtet, werden die neuen Professoren unserer zwei Universitäten vorgestellt.
Lassen sich Staatsgäste vom Flair der Hansetradition beeindrucken, treffen sich aber auch Schüler im couragierten Einsatz gegen Rassismus ("Dem Hass keine Chance") oder bei der Auszeichnung von gelungenen Integrationsprojekten ("Feuer und Flamme"). Und natürlich sind Bremer Traditionsunternehmen daran interessiert, hier mit Mitarbeitern und Kunden Jubiläen zu feiern. Mich nimmt immer wieder gefangen, wie in diesem jahrhundertealten Ambiente ohne Mikrofone, ohne Transparente und Spektakel so oft Konsens erzielt worden ist - Bremens Rathaus- und Hansepolitik lebt von der Einstimmigkeit.

Auf dem offiziellen Rundgang durchs Rathaus sehen die Besucher nur den Festsaal des Neuen Rathauses. Dort tagte bis 1966 die Bürgerschaft.
Ich habe als Schüler - meine Schule war in der Nähe - den Plenarsitzungen zugehört und so Parlamentarismus kennengelernt. Die Abgeordneten stritten sich wie die Weltmeister am Rednerpult und mit Zwischenrufen. Wenn sie danach aber gemeinsam zum Kaffeetrinken den Saal verließen, duzten sie sich. Einige Redner verwechselten in ihrer Aufregung auch schon mal "intrigieren " mit "integrieren" - damals habe ich als Schüler Mut gefasst, es später auch einmal zu versuchen.

Der nächste Raum des Rathauses, der Kaminsaal, wurde 1978 während einer Tagung des Europäischen Rats für die Klausur der Präsidenten genutzt. Hier haben Valéry Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt ihre Kollegen in neunstündiger Sitzung (ohne Berater) von der europäischen Währungsunion überzeugt.
Ich nenne diesen schönen Raum darum gerne den "Kreißsaal des Euros".


Nach dem Kaminsaal folgt das kleine, eher intime Gobelinzimmer, in dem viele Verhandlungen stattfinden. Etwa die Gespräche zu Koalitionsverträgen, die wöchentlichen Vorberatungen zur Senatssitzung, aber auch zu größten Investitionsprojekten wie beispielsweise den Ansiedlungen von Daimler-Benz. Vieles ist uns da unter den Augen einer Büste von Simón Bolívar gelungen. Und welche Freude, dass sich seit Jahren jeden Freitag Paare hier trauen lassen! Bei einer Ministerpräsidentenkonferenz, der ich einst turnusmäßig zu präsidieren hatte, mischte sich die Hochzeitsgesellschaft mit meiner hochoffiziellen Länderchefrunde. Das hat uns allen gut getan.

Den Rathaus-Rundgang beende ich gern im Senatssaal, einem schönen, von Rudolf Alexander Schröder eingerichteten Sitzungssaal: Alle sitzen dort an einem großen ovalen Tisch, die Senatoren und Staatsräte und der Bremerhavener Bürgermeister.
Über ihnen hängen die Kaiserbilder, die daran erinnern sollen, dass Bremen sagenhafte 13 kaiserliche Edikte und Diplome zu seiner Selbstständigkeit erhalten hat - einige auch teuer bezahlt.
Wir müssen täglich beweisen, dass dieses Erbe nicht verloren geht.


Wir verlassen das Rathaus und besuchen die Ratskirche "Unser Lieben Frauen".
Gebaut in schönster hanseatischer Frühgotik, innen fällt zauberhaft leuchtend das Tageslicht durch die von Alfred Manessier gestalteten Fenster. Dort habe ich in den Nachkriegsjahren im Chor Bach, Palestrina, Monteverdi gesungen, und hier klingt, schöner als je zu meiner Zeit, heute der meisterhaft von Ansgar Müller-Nanninga dirigierte 200 Knaben starke Chor.
Die Veitskrypta ist nach der Domkrypta das älteste Gemäuer Bremens. I
hre Wandbemalungen wirken auf mich wie eine Meditationshilfe - mitten in der Stadt helfen sie, zur Ruhe zu kommen.


Manuel
#656

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